»Du hast den Farbfilm vergessen, mein Michael.
nun glaubt uns kein Mensch wie schön’s hier war.
Du hast den Farbfilm vergessen, bei meiner Seel’.
Alles blau und weiß und grün und später nicht mehr wahr.«
Nina Hagen, Du hast den Farbfilm vergessen
Warum Tino Sehgal nicht dokumentieren mag.
Jede LivePerformance braucht eine eigene Übersetzung.
Jede LivePerformance kann gut übersetzt werden.
Jede Übersetzung braucht Zeit.
Auszug aus einem Spiegel-Interview mit Tino Sehgal vom 28.01.2010:
„SPIEGEL ONLINE: Einerseits setzen Sie auf die Mitarbeit Ihrer Rezipienten, andererseits agieren Sie wie ein Kontrollfreak: keine Fotos, keine Filme, keine Kataloge. Ein
Widerspruch?
Sehgal: Nein. Es geht mir ja darum, etwas Nichtmaterielles herzustellen. Warum sollte dann auf der Sekundärebene etwas Materielles entstehen? Außerdem: Wenn man etwas Neues oder Anderes
ermöglichen will, muss man brachial mit neuen Regeln an den Start gehen, ansonsten greifen einfach die existierenden Konventionen und man ist wieder beim Status quo.”
(...)
Fotos von Sehgals Performances zu sehen zu bekommen und zwar ausschließlich die großer Institutionen, benötigen drei Klicks. Ich könnte Sehgals Konsequenz Respekt zollen, wenn sein Unternehmen
nicht, wie sich hier zeigt, grundsätzlich zum Scheitern verurteilt wäre. Nicht die Archivierung, sondern die Handhabung von dokumentarischem Material, das erst durch die Auseinandersetzung
Realitäten erzeugen kann, kann uns Schlüsse ziehen lassen, die für unser Denken, Leben und Handeln von Bedeutung sind. Dennoch treiben uns diskursive Kontextualisierungen in eine Enge, in der
das Denken und vorallem das Handeln gelähmt werden. Wir (PerformancekünstlerInnen) sind an einem Punkt angelangt, wo wir uns der Kontextualisierung in der Performancekunst, im Sinne einer
selbstreflexiven Auseinandersetzung, nicht mehr entziehen können. Es ist ein recht junges Phänomen, was damit zu tun hat, dass die Kunstrichtung mit seinen ungefähr sechzig Jahren eine Spanne der
Historizität erreicht hat, PerformancekünstlerInnen der ersten Stunde, als solche damals nicht bezeichnet, sich in ihrer letzten Lebensphase befinden und man zu dem Schluss gekommen ist, dass
Performance auch ohne spezifischen Werkcharakter und gerade durch die Dokumentation, kulturelles Wissen weiterträgt.
Darüber hinaus hat sich das Bewusstsein in den Performance Studies diesbezüglich geändert, dass Performance nicht mehr nur als ein „unmittelbares Ereignis im Hier und Jetzt” gesehen wird, sondern darüber hinaus nicht nur eine Kunstgattung sondern zu einem Werkzeug geworden ist. Diese Veränderung innerhalb des Denkens der Performancekunst verhält sich diametral zu den Strömungen, die man momentan in der zeitgenössischen Theaterwissenschaft beschreiben kann. Während es, absolut formuliert, im Theater eine Ablösung des „So-tun-als-Ob”-Kontraktes gibt, in dem Theaterstücke Momente von Authentifizierung und Affizierung des Publikums beinhalten sollen, so gibt es innerhalb der Performancekunst eine Einlösung dieses Kontraktes, der sich aus dem Gedankengang ergibt, dass sich unsere Identitäten sowieso aus (gesellschaftlichen) Konstruktionen und autopoietischen Wiederholungen speisen.
(...)
Im folgendem denkprozesshaftem Schaubild habe ich versucht, vor dem Hintergrund zeitgenössischer Ideen und Strömungen, einen Überblick über Motivation und Zusammenhänge von Performance und
Dokumentation zu geben.
Der vollständige Text ist hier als PDF herunterzuladen:
selbstportät als irgendwer. gedanklich war ich dann plötzlich sechzig und spalte mich auf in all die kleinen gehörten und gesehenen geschichtchen. irgendwer wird sagen, in wirklichkeit war es viel zu lang und stinklangweilig gewesen. das war in den neunzehnhundertsechziger jahren. noch mal. in wirklichkeit war es viel zu theatral und konzeptuell gewesen. sehe sie immer noch die linie zeichnen, nachziehen einer unmerklich vorher aufgetragenen bleistiftlinie. kein schweiß. kein schmerz. schnitt.