Das Wiener Stadtbild ist geprägt von etwa 150 öffentlichen Waagen. Heute wirken diese Waagen der Zeit entglitten. Als diese allerdings Ende des 19. Jahrhundert im Wiener Stadtbild auftauchten, wussten viele nicht, wozu diese merkwürdig anmutenden Geräte verwendet wurden. Einige Menschen beschwerten sich - aus heutiger Sicht paradox - beim Betreiber darüber, dass der Automat wie erwartet keine Schokolade hergab. Das Wiegen wurde in dieser Anfangszeit voller Neugier und ohne Hintergedanken im öffentlichen Raum vollzogen, wurde das Dicksein selbst bzw. die Zahl des Gewichts verkürzt gesagt doch erst im 20. Jahrhundert im Zusammenhang mit Gesundheit gebracht. In den 1970er Jahren verlagerte sich dann das Wiegen in den privaten Raum, als die Personenwaagen erfunden waren. Die Zahl auf der Waage war nun lange nicht mehr naiv, sondern wurde mit einem Narrativ in Verbindung gebracht, der den eigenen Körper in gut und schlecht einteilte, der einer Identität noch konkreter als zuvor Attribute wie Trägheit, Dummheit und Disziplinlosigkeit oder im Gegenzug Gesundheit, Schönheit und Leistung zuschrieb.
In der Performance „Equilibrium“ setzt sich die Performancekünstlerin Veronika Merklein mit ihrer ganz eigenen unschönen Geschichte des Wiegens auseinander. Sie verlagert die Performance bewusst in den Keller, den Ort des Unterbewussten. Die Künstlerin betritt den Raum mit einer Haushaltswaage unter dem Arm, die sie trägt wie eine unter den Arm geklemmte Aktentasche. Im Raum befindet sich bereits ein schwer anmutender Jutesack, der schwer von der Decke hängt. Die Künstlerin installiert die Waage daraufhin direkt unter dem Sack und stellt sich auf die eine Seite des Publikums. Dort zieht sie sich langsam bis auf die Unterhose aus und stellt sich mit dem Gesicht zum Publikum gerichtet auf die Waage, welche ein deutlich ausschlagendes Geräusch macht. Während sie auf der Waage ausharrt, schwebt der Jutesack wie ein Damoklesschwert als Kontrapunkt knapp über dem Kopf der Künstlerin. Etwa 10 Minuten später verlässt Merklein den Schauplatz. Der Sack fällt mit voller Wucht, ausgelöst durch ein Lötkolben, der das Seil durchbrennt, auf die Waage und zerstört sie. Der Staub wabert in der Stille nach. Die Künstlerin kehrt zurück und öffnet den Sack. Wenig später kommt ein echter abgetrennter Schweinskopf zum Vorschein, den sie erst aus dem Sack befreit, um sich dann selbst auf den Sack zu platzieren. Liebevoll streichelnd und in einem sehr gefühlvollen lang anhaltenden Moment scheint sich die Künstlerin mit dem toten fetten Schwein zu verbinden. Mit dieser Szene endet die Performance.
Veronika Merklein, die sich seit vielen Jahren in Theorie und Praxis mit der Thematik Körperpolitiken auseinandersetzt und dabei den politischen Anspruch „Mein Fett ist politisch“ hat, setzt mit
ihrer Arbeit einen für viele Menschen negativ aufgeladenen Haushaltsgegenstand einer Diskussion aus.
CREDITS
Kuratierung: Helen Carey und Michaela Stock, KünstlerInnen: Amanda Coogan, Laura Fitzgerald, Ann
Maria Healy, Evelyn Loschy, Veronika Merklein, Lilo Nein, Dominic Thorpe, Suzanne Walsh, Talks: Stef van Bellingen (curator, director WARP, Belgium), Giovanni Morbin (artist and
professor of performance, University of Verona, Italy), Marko Markovic (artist, director of DOPUST Festival, Split, Croatia)
Andrej Mircev (curator, professor, University of Berlin, Germany), Video: Jesus Rivero, Foto: Lea Sonderegger
Mit freundlicher Unterstützung von Barbatti Fine Foods, Firestation Dublin